15. Juni 2022
Wir haben einen Traum – Film und Podiumsgespräch
Bei schönstem Sommerwetter trudelte am 15. Juni 2022 ein bunt gemischtes Publikum auf dem Lagerplatz in Winterthur ein. Aktuelle und ehemalige Teilnehmende von Deutschintensiv Solinetz Winterthur, Angehörige, Protagonist:innen des Films, die Filmemacher und Podiumsteilnehmerinnen, Unterrichtende, Vereinsmitglieder und Interessierte.
Schon vor dem Film herrschte reges Treiben, Kinder sprangen umher, hier und dort ein Lachen, Gespräche, Wiedersehensfreude. Im Kino Cameo waren dann alle Plätze besetzt.
Präsidentin Constanze Schade stellte unseren Verein und seine Arbeit vor, sprach eindringlich über die Situation der Geflüchteten und führte in den Film ein.
Der Kurzfilm «Wir haben einen Traum» dokumentiert den Anlass «Geflüchtete haben das Wort» vom 18. September 2021 in Zürich. Die Dokumentation zeigt das Engagement, den grossen Willen und die Unermüdlichkeit der Protagonisten, sich zu bilden, zu arbeiten und Teil unserer Gesellschaft zu sein. Sie beginnt mit einer langen Reihe von Flüchtlingen − Erwachsene, Kinder, Jugendliche –, die nur das Nötigste auf sich tragen. Das geht unter die Haut. Dann folgt der Film den beiden Workshops, an denen Geflüchtete mit Freiwilligen ihre Texte erarbeitet haben. Ein Mann kommentiert mit Schmunzeln eine komplizierte Eigenheit der deutschen Sprache: Ich habe gehört, im Deutschen kann man zehn Wörter zusammensetzen, weisst du, und da kriegt man so einen Begriff oder ein Wort, zum Beispiel Stipendiumserleichterung oder Zentralbibliothek, und dann mischt man die Wörter und kriegt einen neuen Begriff. Die Geflüchteten schlüpfen im Workshop auch in ihre Traumrolle: Hallo, ich bin heute für euch da: Wie ihr wisst, bin ich die meistgenannte Autorin der Welt. Wenn ihr ein Autogramm wollt, könnt ihr eins haben. Hallo Leute, ich habe zehn Kinder, ich bin eine starke Frau! Ich arbeite bei Google und Facebook, wenn Sie Fragen haben, ich kann sie lösen. Humorvoll präsentiert und schmerzlich zugleich. Mittelpunkt des Films sind die unglaublich beeindruckenden Reden der siebzehn Protagonist:innen, die auf dem Hirschenplatz in Zürich aufgetreten sind. Der Moderator hat sie so angekündigt: Wir haben ein paar Leute hier. Sie möchten ihre Geschichte mit uns teilen, ich kann euch nur bestätigen, sie sind die mutigsten Leute!
Zu sehen ist der Film hier
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Anschliessend an die Filmvorführung führte Markus Egli ein Gespräch mit dem Filmemacherpaar Heidi Schmid und Christian Labhart. Sie hatten den Film realisiert, um auf das Schicksal von Geflüchteten aufmerksam zu machen, aufzurütteln und eine öffentliche und politische Diskussion anzustossen.
Die nachfolgende Podiumsrunde war ganz in Frauenhand mit der im Film aufgetretenen Merve mit B-Ausweis und Sara mit F-Status, mit Tenzin, Sans-Papier aus dem Tibet, EVP-Kantonsrätin Barbara Günthard Fitze und Branka Kupresak von der SP. Sie legten dar, wie elementar deutsche Sprachkenntnisse sind, wie die kostenlosen Kurse von Deutschintensiv Solinetz Winterthur ein wertvolles Stück Integrationsarbeit leisten, und wie oft es dennoch beim Zugang zu Bildung, zu einer Ausbildung, für eine Arbeit hapert. Eine wichtige, vielen unbekannte Aussage lieferte Barbara Günthart Fitze: Man kann und darf Menschen mit F-Status anstellen. Darauf wollen wir Firmen verstärkt hinweisen.
Den fulminanten Schlusspunkt setzte Pascal Honla. Er lebt seit vier Jahren in der Schweiz, er hat immer noch N-Status, und er hat bereits ein Buch (Das Labyrinth) auf Deutsch geschrieben, siehe hier. Der Mann mit dem ansteckenden Lachen sagte: Ich kämpfe immer weiter, ich gebe niemals auf. Kämpft immer weiter, es wird gut, gebt niemals auf!
Nach der Filmvorstellung zeigten sich zahlreiche Besucher:innen tief beeindruckt vom Schicksal der Geflüchteten, die trotz dem grössten Wunsch und der höchsten Motivation zu lernen, sich auszubilden, eine Arbeit zu finden, ihr Leben selbst zu gestalten und unabhängig von der Sozialhilfe zu werden, doch auf so viel Widerstand in der Schweiz stossen. Viele zeigten sich beschämt ob der Schweizer Asylpolitik, die Sans Papiers, zum Beispiel aus dem Tibet, nichts anderes zu sagen hat als, «verlass möglichst schnell dieses Land», und das auch dann, wenn sie schon zehn Jahre in der Schweiz leben und sich trotz aller Hindernisse bestens integriert haben.
Doch schliesslich überwog unter den Besucher:innen des Anlasses doch die Aufbruchstimmung, die Pascal Honla mit seinem Aufruf, immer weiterzukämpfen, verbreitet hatte. Geflüchtete, Politikerinnen, Kursteilnehmerinnen, Unterrichtende von Deutschintensiv Solinetz Winterthur und alle anderen Besucher:innen der Filmpremiere vermischten sich, diskutierten miteinander und genossen den Apéro von Valérie Schindler Palden vom Grand Café du Musée im Gewerbemuseum Winterthur. Bis der Mond schon hoch am Himmel stand.
Ursula Markus hat den Anlass mit starken Bildern eingefangen, siehe Fotogalerie.
PS: Am 25. Juni ist im «Landbote» ein ganzseitiger Artikel zu unserer Arbeit und zum Filmanlass mit Podiumsgespräch erschienen.
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